Berlin-Kreuzberg

Türen fallen ins Schloss. Die Kamera schwenkt über Zäune aus Stacheldraht. Sicherheitsschleusen inklusive Augenscans trennen die uns bekannte von der anderen Welt: der Frauenstation einer Klinik für Forensische Psychiatrie. Gezeigt wird der Alltag dreier als gefährlich und vermindert schuldfähig eingestufter Straftäterinnen und ihr Verhältnis zu 3 Pflegerinnen. Die filmische Umsetzung des schwierigen Themas durch Regisseurin Christa Pfafferott in „Andere Welt“ weckte bei unserer Mitbloggerin Sandra Y. Mueller zwiespältige Gefühle.
Im Zuge der mehrwöchigen Dreharbeiten des Dokumentarfilms „Andere Welt“ verschob sich der Fokus immer mehr von den Pflegerinnen auf die Patientinnen in der Klinik Nette-Gut für Forensische Psychiatrie in der Nähe von Koblenz. Hier werden schuldunfähige und schuldverminderte Straftäterinnen nach § 63 des Strafgesetzbuches untergebracht. Die auf unbestimmte Zeit inhaftierten, verzweifelten Frauen verlangten etwas Eigenes. Sie wollten gesehen werden mit ihrer Geschichte und nutzten die Kamera als Sprachrohr und Rettung. Es wird deutlich: auch sie können das Pflegepersonal und das Filmteam manipulieren. Es wird viel gesprochen und geraucht in diesem leisen Film, Exzesse werden nicht gezeigt. Die Kamera (Eva Katharina Bühler) verharrt auf den an der Wand hängenden Bandagen für Hand, Fuß, Oberschenkel, Bauch und „Sonstiges“, mit denen die Insassinnen in kritischen Situationen fixiert werden müssen. Die – noch geschäftstüchtigen – Patientinnen sollen sich jederzeit bewusst sein, dass sie gefilmt werden, und dies wäre in einer Extremsituation nicht gewährleistet. Manch eine/r wird sich unwillkürlich fragen, warum Maßnahmen wie diese überhaupt notwendig sind. Denn die normal wirkenden Frauen tun ja gar nichts. Zur Auflösung dieses Dilemmas hätte man sich den stärkeren Einsatz von dramaturgischen Kunstgriffen gewünscht. Zum Beispiel den Blick auf die Putzkraft, die am nächsten Morgen die Spuren eines Exzesses stillschweigend beseitigt. Auch auf einen Erzählkommentar wird verzichtet, die Patientinnen sprechen. In einer Szene klagt eine der Frauen, dass man sie nicht 5 Liter Wasser pro Tag trinken ließe. Aber: durch die überhöhte Flüssigkeitsaufnahme will sie die verabreichten Medikamente ausschwemmen. Dies stellt aufklärend ein Vertreter einer 3. Gruppe fest, die im Film sonst konsequent ausgeklammert wird – ein Arzt. Regisseurin Christa Pfafferott wurde für ihren sensiblen und respektvollen Dokumentarfilm „Andere Welt“ mit dem Marlies-Hesse-Nachwuchspreis des Journalistinnenbundes ausgezeichnet. Bildet euch selbst ein Urteil!
Andere Welt, D 2013, 79 min., Regie: Christa Pfafferott, Kamera: Eva Katharina Bühler, Schnitt: Christa Pfafferott, Anke Wiesenthal
Weitere Termine im Rahmen der Dokumentarfilmwoche in Kreuzberg 2014